Animatorin spricht über Probleme der Anime-Branche

Überarbeitung und Überproduktion – das sind zwei der Hauptprobleme, mit denen die Anime-Industrie derzeit zu kämpfen hat. Nun ging die Animatorin Joan Chung näher auf die vorherrschenden Missstände ein und sprach über ihre Hoffnungen für die Zukunft der Branche.

Animatorin teilt ihre Erfahrungen

In einem Interview mit der englischsprachigen Website Anime News Network schilderte Chung, wie sich die übergreifenden und langfristigen Probleme der Arbeitsbedingungen auf ihre Erfahrungen bei Science SARU (u. a. »Keep Your Hands Off Eizouken!«, »Ride Your Wave«) auswirkten. Die aus Kanada stammende Animatorin war von Dezember 2019 bis Juni 2021 für das Animationsstudio tätig.

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Sie erklärte, dass sie die Studiokultur vor der COVID-19-Pandemie als sehr lebendig und kommunikativ erlebte. Obwohl sie kein Japanisch sprechen konnte, fühlte sie sich an ihrem Arbeitsplatz sofort willkommen. Ihre Kollegen unterstützten sie und waren stets freundlich. So brachte einer von Chungs Vorgesetzten ihr in der Mittagspause sogar das Skateboardfahren bei:

»Ich war immer wieder von der Fähigkeit meiner Kollegen beindruckt, herumzuspielen und gleichzeitig unter einem halsbrecherischen Zeitplan den Kopf oben zu behalten. Diese Art von Arbeitsethik habe ich in einem westlichen Studio noch nie erlebt.«

Science SARU zeichnet sich besonders durch seine internationalen Arbeitskräfte aus, von denen viele aus dem europäischen und nordamerikanischen Raum stammen. Die heutige Geschäftsführerin Eunyoung Choi bot diesen Mitarbeitern einen wöchentlichen Japanisch-Kurs an und stellte auch einen Dolmetscher ein, der die Live-Meetings übersetzte.

Nicht nur gute Seiten bei Science SARU

Allerdings gibt es auch bei diesem Animationsstudio nicht nur gute Seiten: »Ich habe einige Horrorgeschichten aus dem Studio gehört, von denen es zum Glück weniger gibt als bei einigen Konkurrenten von SARU. Aber – und das ist ein wichtiger Punkt für mich – ein Studio sollte keine zwanzigjährigen Angestellten haben, die auf der Toilette weinen und die Nacht durchmachen.«

»Ebenso wenig sollte es einen Produktionsplan geben, der so eng ist, dass man keine Rücksicht auf die psychische Gesundheit der Produktionsleiterin nehmen kann. Ich musste in ihrem Namen mit ihrem Vorgesetzten und dem CEO sprechen – und obwohl sie mitfühlend reagierten, konnten sie nicht viel ändern. Eine Kultur mit so viel Produktionsdruck machte die langen Arbeitszeiten unumgänglich.«

Das Problem liegt laut Chung nicht im Workflow von Science SARU. Sie beschreibt Abel Góngora, den Animationsleiter des Studios, als einen fähigen Animator und versierten Lehrer. Vielmehr hat sich das Studio mit seinen 40 bis 50 Mitarbeitern durch die Arbeit an zu vielen Produktionen, insgesamt drei Serien sowie einem Spielfilm, verzettelt. Dies sorgte für eine größere Belastung des Kernteams.

Ursprung der niedrigen Bezahlung

Auch die niedrige Bezahlung der Animatoren gehört zu den bekannten Problemen der Branche. Diese hat ihre Wurzeln in der japanischen Arbeitskultur und der Geschichte der Sparmaßnahmen in der Animationsindustrie. In den 1960er Jahren legte das »Astro Boy«-Studio Mushi Production ein System fest, das bis heute gilt: Bezahlung pro Bild oder Schnitt.

Obwohl die Arbeit mittlerweile komplexer geworden ist, stiegen die Tarife nur geringfügig, so Joan Chung. Im Durchschnitt liegt das Einstiegsgehalt amerikanischer Animatoren bei 68.661 US-Dollar (ungefähr 58.194 Euro) im Jahr, während Japaner nur 20.000 US-Dollar (circa 16.951 Euro) verdienen.

Zwar glaubt Chung nicht, dass japanische Arbeiter in der Lage sind, Gewerkschaften zu organisieren und aufrechtzuerhalten, jedoch ist sie fest davon überzeugt, dass die Studios Verantwortung übernehmen müssen, indem sie mit ihren Geschäftspartnern höhere Tarife aushandeln. Dies gilt besonders für die Zusammenarbeit mit hochkarätigen Unternehmen, wie beispielsweise Netflix.

In Anbetracht dessen, dass Netflix innerhalb der letzten fünf Jahre ein Wachstum von 546 Prozent verzeichnete und viel in Original-Titel investiert, sollten Anime-Studios mit strategischen Verhandlungen beginnen, um ihre Produktionsbudgets zu erhöhen.

Allerdings sieht Chung auch darin eine große Hürde, da die Gespräche über Netflix Japan laufen. Weil man dort mit der Branche und den aktuellen Tarifen vertraut ist, könnte der Streaming-Riese resistent gegenüber Verhandlungen sein. Das Prinzip des Marktes ist, dass die Kosten immer dort niedrig sind, wo es keine Knappheit gibt. Zudem gibt es viele Kollegen, die an eine geringe Bezahlung gewöhnt sind.

Wünsche für die Zukunft

Nach ihrer persönlichen Erfahrung ist selbst die Forderung nach dem Dreifachen des Standardsatzes für einen Freiberufler im Vergleich zum Einstiegsgehalt eines Festangestellten in einem kanadischen Studio zu wenig. Auch einen pauschalen Satz zu akzeptieren, soll dabei nicht hilfreich sein, da Animationsschnitte in Bezug auf Details und Komplexität stark variieren können.

Joan Chung ist der Meinung, dass jede Szene nach der Anzahl der Tage, die man zum Zeichnen benötigt, bepreist werden sollte. So zum Beispiel mit 7.500 Yen (circa 57 Euro) für einen »leichten« Schnitt, 15.000 Yen (ungefähr 115 Euro) für einen »mittleren« Schnitt und 30.000 bis 45.000 Yen (umgerechnet 230 bis 345 Euro) oder mehr für »schwierige« Schnitte.

Da Jahr für Jahr mehr Geld in die Anime-Industrie fließt, plädiert Chung dafür, dass die Anime-Studios miteinander kommunizieren und gemeinsam ihren Wert für die Investoren bestimmen. Anstatt in einem Wettlauf nach unten zu konkurrieren, können sich die Studios zusammenschließen und Druck auf die Geldgeber ausüben, um vernünftige Zeitpläne mit angemessener Bezahlung zu ermöglichen.

Via Anime News Network (Englisch)
© 森見登美彦・KADOKAWA/ナカメの会

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12 Kommentare und Antworten zu "Animatorin spricht über Probleme der Anime-Branche"

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Toshi
Gast
Toshi

»Ebenso wenig sollte es einen Produktionsplan geben, der so eng ist, dass man keine Rücksicht auf die psychische Gesundheit der Produktionsleiterin nehmen kann. Ich musste in ihrem Namen mit ihrem Vorgesetzten und dem CEO sprechen – und obwohl sie mitfühlend reagierten, konnten sie nicht viel ändern. Eine Kultur mit so viel Produktionsdruck machte die langen Arbeitszeiten unumgänglich.«

Leider ist das branchen unabhängig sehr oft die regel, da wird oft einfach ein haufen aufträge angenommen und irgendwelche versprechen versucht zu halten, jo 200 neue aufträge ob ihr euch dafür die knochen bricht oder 30 nächte durcharbeiten müsst interessiert mich nicht, hauptsache die arbeit wird gemacht und der zeitplan wird eingehalten.

»Zwar glaubt Chung nicht, dass japanische Arbeiter in der Lage sind, Gewerkschaften zu organisieren und aufrechtzuerhalten, jedoch ist sie fest davon überzeugt, dass die Studios Verantwortung übernehmen müssen, indem sie mit ihren Geschäftspartnern höhere Tarife aushandeln. Dies gilt besonders für die Zusammenarbeit mit hochkarätigen Unternehmen, wie beispielsweise Netflix.«

schwierig bei der mentalität von vielen japanern aber es sind ja nicht alle so, mich wirds freuen wenn die da drüben mal bisschen sich gegen die schlechte bezahlung und arbeitsumstände auflehnen aber das geht nur wenn nicht eien handvoll japaner aufstehn, sondern auch animationsstudios was ändern wollen.

»Aber – und das ist ein wichtiger Punkt für mich – ein Studio sollte keine zwanzigjährigen Angestellten haben, die auf der Toilette weinen und die Nacht durchmachen.«

Selbstmord rate steigt da durch immer weiter an, mal da von abgesehn das auf dauer ständige depressionen/stress einen krank machen kann.

Ich kann mich auch irren aber ich glaube nicht das von heut auf morgen sich was ändert, so was braucht zeit leider sehr viel zeit :/ grade wenn so was schon so lange geht, viele werden da drunter auch noch leiden man kann nur hoffen das keine 100 jahren oder mehr ins land ziehn muss nur, damit die reichen noch reicher werden und die leichen berge sich weiter stappeln.

Ich
Gast
Ich

Ein echt schöner Artikel. So hat man mal … «die Sicht von innen« (um es mal so auszudrücken). Sie scheint bei einem der besseren Studios untergekommen zu sein. Was nicht bedeutet, dass dort alles gut ist.

Der «Netflix-Punkt« ist nicht von der Hand zu weisen. Das Problem ist, dass die Studios da ein Stück weit geschlossen auftreten müssten. Sprich, man müsste geschlossen sagen, dass es nicht unter Summe X läuft. Aber das wird wohl in der Praxis nicht stattfinden. Netflix hat ja nicht so ein Wachstum erreicht indem es Geld – in ihren Augen – unnötig ausgibt. Und dieses «unnötig« ist der Knackpunkt.

Es müssen Veränderungen her; das wird man nicht bestreiten können. Aber nur weil es welche geben sollte, bedeutet das ja nicht, dass auch welche eintreten werden. Die angesprochenen Gewerkschaften könnten helfen; aber selbst wenn es welche gibt, stellt sich die Frage, wie groß denn ihr Einfluss wäre. Man könnte das wohl nicht mit Deutschland vergleichen. In Japan bräuchte es ja allgemein gesehen bessere Arbeitsbedingungen. Da müsste auch die Regierung mit einspringen, um gesetzliche Änderungen auf den Weg zu bringen. Aber das wird wohl nichts; ich bin nicht wirklich vertraut mit japanischer Politik aber so … starr wie die Gesellschaft ist, ist wohl auch die politische Landschaft. Sollte ich mich diesbezüglich irren, bitte ich darum, mich zu korrigieren.

Toshi
Gast
Toshi

geht meistens einfach um die größe, so ne kleine gewerkschaft wird eher nicht viel erreichen als ne richtig große.

viele trauen sich aber gar nicht mal so weit zu gehn, selbst so was wie betriebsrat ist in vielen firmen möglich aber die leuten wollen das gar nicht, weil die im vornerein schon die einstellung haben das es nix bringt.

Ich
Gast
Ich

Es geht letzten Endes um Geld, Macht und Einfluss. Wenn diese 3 Säulen das Fundament stützen auf dem man steht, hat man gewonnen.

Monokuma
Gast
Monokuma

In einem Land, in dem Konflikte traditionell gescheut werden, sollte es nicht überraschen, dass da auch nicht viel, offen oder gar hitzig über Politik geredet wird. Und der erste Schritt zur Veränderung ist nun einmal, überhaupt zuzugeben, dass es ein Problem gibt, und über Dinge zu reden, die nicht funktionieren. Zur politischen Landschaft sei so viel verraten: So eng, wie die Regierungspartei LDP traditionell mit der Wirtschaft verbandelt ist, lässt sie selbst die CDU geradezu basisdemokratisch aussehen. Und da Einfluss und Präsenz der Oppositionsparteien sich in Grenzen halten – ein echtes Gegengewicht zur LDP, wie die SPD zur CDU immerhin mal war, existiert dort schlichtweg nicht –, ist es sicher keine allzu waghalsige These, zu sagen, dass die eigentliche Macht bei den Zaibatsu/Keiretsu, also den großen Firmenkonglomeraten (da das hier eine Anime-Seite ist: Kadokawa ist übrigens auch so eins), bzw. deren Oberhäuptern/Vorständen liegt. Das beliebte Klischee in Anime mit superreichen Familienclans, denen gefühlt halb Japan gehört (siehe „Kaguya-sama: Love is War“), kommt gewiss nicht von ungefähr. Nicht dass es im modernen Europa oder gar den USA großartig besser wäre, die Demokratiesimulation mag bei uns lange Zeit glaubwürdiger gewirkt haben, bröckelt aber auch hier immer mehr. Wir Deutschen können vielleicht lauter und offener über Politik nörgeln als die Japaner, aber Revolutionäre wie die Franzosen sind wir bislang auch nicht.

(Um an der Stelle wegen meiner Wortwahl Missverständnisse hinsichtlich meiner Person zu vermeiden: Ich beziehe mich damit weder auf die Covid-Maßnahmen noch bin ich ein „Querdenker“ (also das, was man seit der Kaperung dieses Begriffs gemeinhin darunter versteht). Dass der Chef der Deutschen Bank oder der VW-Chef der Kanzlerin sagt, wo es langgeht, und nicht andersrum, ist nicht erst seit Covid so.)

erzas sklave
Gast
erzas sklave

der deutsche michel und sein japanisches äquivalent werden sich nie ändern…

Guts
Gast
Guts

Bei dem riesen Unterschied zwischen Amerika und Japan frage ich mich, ob die ausländischen Gast-Animatoren in Japan dann besser bezahlt werden als die eigenen Mitarbeiter, sonst würde das doch keiner machen 🤔

Toshi
Gast
Toshi

Ja wäre irgendwie verrückt wenn die sich aus amerika billig verkaufen.

luraya
Gast
luraya

Zu aller erst ist das ein gesellschaftliches Problem von Japan und auch von Asien selbst und nicht vom Westen zu ziemlich. Die internationalen Fans wollen vielleicht nur mehr Transparenz, Fairness …/ein kleines Mitspracherecht zu dem einen oder anderen/sie können aber selber nichts Großes bewegen. Dann ist diese Arbeitsmoral mit dem verbundenen Druck und Stress innerhalb der Kultur teils auch selbst verschuldet, weil die Verwurzelung des ganzen so tief ist und da man es aus Ignoranz nicht ändern wollte. Klar können die Asiaten sich nur selber da herausziehen, als deutscher Anime-Fan kann man da nichts tun. Ähnlich mit der Bildung, der Armmut, den Rassismus und den Umweltproblemen hier, man macht so lange nichts bis es nicht mehr aufgeht und funktioniert. Wie oft wurden z. B. in Anime, Filmen und sonstigen Medien die Klischees bedient von dem überarbeiteten Volk(was ein running gag ist/was das Thema bewusst oder unbewusst teils desensibilisiert schon). Man wird nicht mal ernst genommen, wenn man ein kauffreudiger Ami Fan ist, mit einer Riesenreichweite, mit kostenloser Werbung für den Kontentgeber des jeweiligen Mangas oder Anime. Klar wissen wir als Fans von sowas Bescheid schon seit Jahren, empfinden Mitgefühl, versuchen dementsprechend zu helfen und das Bewusstsein dafür zu stärken über die Folgen. Trotz allem habe ich das Gefühl, das diese Scheindebatten für PR grade in Socialmedia missbraucht werden. Und am Ende wird eh alles auf den Rücken der Fans ausgetragen, heißt wir zahlen dafür, als wie die Verantwortlichen und die Qualität wird auch nicht besser.

xertdiv
Gast
xertdiv

Wie schon einige schreiben: Das ist ein globale Problem und wurde auch nicht besser die letzten Jahre auch wenn manche das behaupten sondern schlimmer..
Gewaltige Inflation für den Großteil der Bevölkerung ohne Lohnausgleich macht es auch nicht besser.
Hab mich ja schon öfter darüber ausgelassen und erspare der Moderation deshalb einen erneuten Sermon.
Allerdings muss ich sagen, dass es bei Leibe nicht nur mit der japanischen Mentalität oder Kultur zusammenhängt. Es gibt auch bei uns schon längst Umfragen, dass die meisten beim Job nicht mehr die Hoffnung auf Aufstieg zu unbezahlten Überstunden etc treibt sondern die Angst vor dem Abstieg in Hatz 4 und Co.
Als kleines »globales Ausbeuterschmakerlbeispiel«: Kakaobauern kriegen seit den 90igern ca 50% weniger (Inflationsbereinigt) für ihre Ware.. Komisch meine Schoko wurde nicht billiger schon gar nicht inflationsbereinigt….
Das das Kapitalistische Kartenhaus eigentlich schon vor Corona brannte und jetzt lichterloh, sieht man an zusammenberechenden Lieferketten (v.a. aus Gier Rohstoffe werden auf Halde gehalten weil: Morgen ist der Preis noch höher als heute und übermorgen höher als morgen…) stark steigender Inflation in den USA die ohne Ausgleich zu noch mehr sozialer Ungleichheit führt.. Der derzeitige Versuch Umweltschutz nur dem »Pöbel« aufzubürden und sonst nur Greenwashing zu betreiben…
Jetzt wurds doch ein Sermon sorry.

BehaveDude
Gast
BehaveDude

»Ich habe einige Horrorgeschichten aus dem Studio gehölrt, von denen es zum Glück weniger gibt als bei einigen Konkurrenten von SARU. Aber – und das ist ein wichtiger Punkt für mich – ein Studio sollte keine zwanzigjährigen Angestellten haben, die auf der Toilette weinen und die Nacht durchmachen.«

kleiner Tipp-Fehler bei »gehört« 😀

Robin Hirsch
Admin

Danke für den Hinweis.